"Luxemburg ist ein innovatives Land. Doch seine Wirtschaft beruht zu fast 85% auf Dienstleistungen, was gefährlich ist", meint Gabriel Crean.

Gabriel Crean, seit einem Jahr sind sie neuer CEO vom LIST (Luxembourg Institute of Science and Technology). Weshalb haben Sie sich dafür entschieden nach Luxemburg zu kommen?

Der Vorteil von Luxemburg ist: Hier kann man schnell handeln. Und wir müssen handeln. Europa muss verstärkt Wissen in Produkte und Dienstleistungen umwandeln. Und Luxemburg – das ist meine Hoffnung – könnte hier zu einem europäischen Vorreiter werden.

Wohin sollte der Weg in Europa denn führen?

Wir sollten den Weg der Re-Industrialisierung gehen, wie es auch die USA anstreben. Das Ziel sollte sein, hoch technologische Produkte selber herzustellen. Das schafft Arbeitsplätze und trägt zu Wirtschaftswachstum bei. Es bringt aber mit sich – aufgrund der Komplexität der Produktion heutzutage - dass R&D und Produktion eng zusammen arbeiten und mehr in angewandte und technologische Forschung investiert werden muss. Länder wie die USA, Japan oder Südkorea geben 70 bis 80% ihrer Forschungsausgaben in angewandte und technologische Forschung aus. Europa hingegen nur etwa 23%. Hier sollte ein Umdenken stattfinden.

Und wie ist ihre Vision für Luxemburg?

Luxemburg ist ein innovatives Land. Doch seine Wirtschaft beruht zu fast 85% auf Dienstleistungen, was gefährlich ist. Der Anteil der Fertigungsindustrie ist von 15% in 1985 auf heutzutage weniger als 7% gesunken. Wenn man die Fertigungsindustrie verliert, wird auch weniger seitens der Firmen in R&D investiert, Arbeitsplätze gehen verloren. Auch in Luxemburg sollte es nicht nur darum gehen, sich als Erster neues Wissen anzueignen, sondern darum es auch als Erster anzuwenden und es als Erster auf den Markt zu bringen!

Es bedarf vieler Schritte, um aus einer Forschungsidee ein kommerzialisierbares Produkt zu machen. Wie sehen Sie Luxemburg hier aufgestellt?

Um das zu veranschaulichen, wird oftmals die 9-stufige TRL-Skala benutzt, die „Technology-Readiness-Scale“. Stufe 1 ist die Forschung. Da ist Luxemburg mittlerweile gut aufgestellt. In den folgenden Stufen geht es darum, Technologien und Prototypen zu entwickeln und zu validieren, ihre Effizienz zu steigern, Pilotlinien zu bauen usw. Und hier sind die Strukturen mangelhaft. Was ein Problem ist, denn erst ab der TRL-Stufe 8 steigen Firmen ein und investieren und bringen das Produkt zur Marktreife. Und das sollte das Ziel sein, denn erst ab dann findet ein Return on Invest statt.

Wie wollen Sie den LIST positionieren?

Der LIST soll genau diese Lücke schließen – also aus Forschungsideen technologische Blocks entwickeln, die dann von der Industrie genutzt werden können. Somit soll der LIST zum Motor für innovationsgetriebene Wirtschaft werden.

Worauf will der LIST seinen Fokus setzen?

Nehmen wir die 4 P’s: Publikationen, Patente, Prototypen und Produkte. Beim LIST sollten die Aktivitäten auf Patenten aufbauen, denn Forschung ohne Patente ist Philantropie – oder in anderen Worten: Patente sind die Voraussetzung um mit Forschung Geld machen zu können. Der Fokus vom LIST sollte jedoch noch weiter gehen und auf der Entwicklung von Prototypen liegen – die dann von Firmen in marktreife Produkte überführt werden können.

Damit dies gelingt, müssen aber Finanzierungsmodelle, Strukturen und Industriepartner her…

Genau. Daher schlage ich die Gründung eines „Team Luxembourg“ vor, bestehend aus mehreren Ministerien, der Uni, Förderagenturen und Forschungseinrichtungen. Dem Wirtschaftsministerium und Luxinnovation kommt z.B. eine besondere Aufgabe zu bei der Vermittlung und Unterstützung von Industriepartnern, dem Forschungsministerium bei der Schaffung nötiger Strukturen und der Vergabe von finanziellen Mitteln. Der FNR finanziert bisher nur die unteren Stufen der TRL-Skala. Er müsste die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt kriegen, auch die oberen zu finanzieren. Wenn wir dann alles zusammengestellt haben – was durchaus in ein paar Jahren zu bewerkstelligen ist – könnte Luxemburg zu einem Vorreiter für technologische Forschung und Re-Industrialisierung in Europa werden.

Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)

Zur Person

Prof. Gabriel Crean arbeitete vor seiner Tätigkeit beim LIST für das CEAtech in Grenobel. Das „Comissariat à l’énergie atomique et aux énergies alternatives“ gehört zu den renommiertesten RTO‘s weltweit. Prof. Crean bekleidete dort die Funktionen Wissenschaftlicher Direktor, Vizepräsident für Technologie und Direktor für Europa. Zudem war er Mitglied des High Level Sherpa Group on Key Enabling Technologies (KET’s) der Europäischen Kommission. Für Europa wünscht er sich mehr von einer „Steve-Jobs-Mentalität“: „Während in unseren Gegenden vor allem Errungenschaften der Forschung gefeiert werden, werden in den USA Technologieprodukte gefeiert. Wirtschaftlich macht letzteres mehr Sinn.“

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