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Auf Twitter lassen Geschichtsstudenten den Ersten Weltkrieg ein Jahrhundert später in Echtzeit wiederaufleben. Die Masterstudenten in zeitgenössischer europäischer Geschichte der Universität Luxemburg berichten Tag für Tag via Twitter-Account @RealTimeWW1 über die entscheidenden Ereignisse des Konflikts.

Ein Konflikt in 140 Zeichen. Ein ganzes Friedensabkommen in zwei Zeilen. Geschichte schreiben in Tweets ... und darüber hinaus an einer Universität. Dies ist die verrückte Herausforderung, der sich das Lehrerkolloquium des Masters in zeitgenössischer europäischer Geschichte der Universität Luxemburg stellt, um des hundertsten Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Jeder Tweet wird hundert Jahre Tag für Tag – sogar Stunde für Stunde – nach dem Ereignis, über das er berichtet, veröffentlicht. Fast 200 Tweets wurden bereits veröffentlicht – und mehr als 1500 weitere sind in Vorbereitung und werden das große Fresko dieses zerstörerischen Konflikts mit neun Millionen Toten und acht  Millionen Schwerverletzten nachzeichnen!

So kündigte ein Tweet am 24. Januar 2014 die Vorwarnung des französischen Kriegsministeriums über das Risiko eines Konflikts an, der die Nahrungsmittelvorräte der Pariser gefährden könnte. Am folgenden Tag kündigte ein anderer Tweet die Entscheidung des Pariser Stadtrats an, Mehlvorräte für 400.000 Francs zu kaufen.

Kette kleiner und großer Ereignisse, aus denen ein Weltkrieg besteht, Stunde für Stunde verfolgen

Diese Initiative geht auf Benoît Majerus, Professor für Geschichte und Studiendirektor des Masters, zurück. Der Twitter-Account @RealTimeWW1 ermöglicht es, „die Kette kleiner und großer Ereignisse, aus denen ein Weltkrieg besteht, Tag für Tag, Stunde für Stunde, zu verfolgen“ ... und die jenen Nachrichten aus einigen Konfliktgebieten unseres Planten ähneln, wie beispielsweise dieser Tweet vom 11. März über die Abstimmung der russischen Duma zur Gewährung wichtiger Kredite, um die Armee und Marine mit Waffen auszurüsten.

Vier Studentenjahrgänge beteiligt

Der Master in zeitgenössischer europäischer Geschichte eignet sich gut für dieses Projekt: Die Lehrveranstaltungen werden in drei Sprachen (Französisch, Englisch und Deutsch) für Studierende aus acht  verschiedenen Ländern abgehalten. Dies in einem Land (Luxemburg), das durch den Konflikt schwer getroffen wurde und besonders gut die Brücken zwischen europäischen Ländern verkörpert. Die vier Studentenjahrgänge, die am Projekt beteiligt sind, können eine Vielzahl historischer Dokumente in vielen unterschiedlichen Sprachen einsehen: Englisch, Französisch, Deutsch, Luxemburgisch, Spanisch, Portugiesisch, Serbokroatisch, Rumänisch, Griechisch und Italienisch.

Das Projekt ist Teil der „digitalen Geisteswissenschaften“, d. h. IT-gefilterter Human- und Sozialwissenschaften, die beispielsweise die Benutzung digitalisierter historischer Quellen miteinbeziehen. So enthalten alle Tweets @RealTimeWW1 einen Link zu einem historischen Dokument, das online abrufbar ist. Die Nutzung eines gängigen sozialen Netzwerks, um bedeutende geschichtliche Ereignisse wiederaufleben zu lassen, ist ein für die digitalen Geisteswissenschaften ideales Experiment. Weiter ermöglicht es, Mittel zur Wissenserzeugung und -verbreitung, die für das 21. Jahrhundert spezifisch sind, zu untersuchen.

Ähnliche Projekte weltweit

Das soziale Netzwerk Twitter wurde bereits für geschichtliche „Live-Tweets“ unterschiedlichster Größenordnung verwendet. Der von Allwin Collinson betriebene Account @RealTimeWWII ebnete den Weg mit seit 2012 mehr als 7.300 veröffentlichten Tweets, die 70 Jahre später über den Zweiten Weltkrieg berichteten. Und auch die Universität Oxford leitete während 1,5 Monaten den Account @Arras95 und behandelte die Schlacht von Arras (vom 9. April bis 16. Mai 1917/2012) 95 Jahre später.

Die ersten Tweets des Accounts @RealTimeWW1 waren über die Balkankriege (1912-1913), jene Unabhängigkeitsversuche europäischer Völker unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches. Diese Konflikte verursachten die Balkankrise von 1914 und gingen als „Auftakt des Ersten Weltkriegs“ in die Geschichte ein. Nach der Behandlung des Ersten Weltkriegs wird der Account bis 2018 online bleiben und über die ersten Nachkriegsjahre berichten.

Autor: University of Luxembourg
Foto ©Shotshop.com

 

Infobox

Master in zeitgenössischer europäischer Geschichte

Um die zukünftigen soziopolitischen Herausforderungen zu meistern, ist ein geschichtlicher Überblick für Fachleute von morgen, die in Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft arbeiten werden, von großer Wichtigkeit. Mit dem Master in zeitgenössischer europäischer Geschichte können Studenten sich das nötige Fachwissen aneignen, um europäische Probleme der Gegenwart zu erforschen. Mit ihren zahlreichen Verbindungen zu europäischen und kulturellen Einrichtungen und in Luxemburg angesiedelten multinationalen Unternehmen bietet die Ausbildung ein bereicherndes und anregendes Umfeld.

Schwerpunkt auf Grundfragen europäischer Geschichte

Der Master hat zum Ziel, eine ausgezeichnete Ausbildung in europäischer Geschichte zu entwickeln, indem Lehrveranstaltungen auf Basis kritischer Fragestellungen und theoretischer Überlegungen angeboten werden. Der Schwerpunkt liegt auf Grundfragen und -problematiken europäischer Geschichte, wie den Integrationsprozessen und dem europäischem Aufbauprozess mit all ihren politischen und sozioökonomischen Komponenten, sozialer und kultureller Identitätsstiftung, inner- und außereuropäischer Migrationen und den europäischen Beziehungen mit anderen Regionen der Welt.
Das Studienprogramm setzt vor allem auf die Ausbildung von Experten in Digitalen Geisteswissenschaften und Öffentlicher Geschichte, indem sowohl Geschichtstheorien als auch deren praktische Anwendung kombiniert werden. http://h-europe.uni.lu/ | @940europe

Über die Universität Luxemburg

Die im Jahr 2003 gegründete Universität Luxemburg ist eine mehrsprachige, internationale Forschungsuniversität mit 6200 Studierenden und Mitarbeitern aus der ganzen Welt. Forschungsprioritäten sind Internationale Finanzwissenschaften, ICT-Sicherheit, System-Biomedizin, Europarecht, Wirtschaftsrecht und Erziehungswissenschaften.  www.uni.lu/

Kontakt

Associate Professor Benoît Majerus, benoit.majerus@uni.lu, T. + 352 46 66 44 6744

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