University of Luxembourg / Michel Brumat

Die Forscherinnen des LCSB (v.l.n.r.): Carole Linster, Silvia Bolognin, Susana Martinez

Die beiden frischgebackenen Nobelpreisträgerinnnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna haben 2012 eines der nützlichsten Werkzeuge der Gentechnologie entdeckt: die „genetische Schere“ CRISPR/Cas9. Mit dieser können Forscher die DNA von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen mit extrem hoher Präzision, einfach und schnell verändern. Diese Technologie hat einen revolutionären Einfluss auf die Biowissenschaften gehabt, trägt zu neuen Krebstherapien bei und könnte den Traum von der Heilung von Erbkrankheiten wahr werden lassen.

Auch in Luxemburg arbeiten mittlerweile unzählige Forscher mit der Genschere. Darunter auch die Biochemikerin Carole Linster, Assistant Professor an der Universität Luxemburg und Leiterin der Forschungsgruppe Enzymology & Metabolism am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB).

Mithilfe der „Genschere“ seltene Krankheiten untersuchen

Carole Linster, weshalb ist diese „genetische Schere“ so nützlich für die Wissenschaft?  

Forscher müssen Gene in Zellen verändern können, um besser zu verstehen wie die Zellen funktionieren. Das ist bereits seit langem möglich, aber vor der Entdeckung von CRISPR/Cas9 war das zeitaufwendig und nicht immer ganz einfach, manchmal sogar unmöglich. Mit der CRISPR/Cas9 “Genschere” kann nun Erbgut in Zellen innerhalb von wenigen Wochen verändert werden, und dies mit wesentlich höherer Präzision und Spezifizität.

Wie benutzt Ihr CRISPR/Cas9 in Eurer Forschungsarbeit?

Wir erforschen Krankheiten, die genetische Ursachen haben oder haben könnten. Wir benutzen CRISPR/Cas9, um Gene in bestimmten Zellen oder in einem Zebrafisch-Tiermodell verschwinden zu lassen oder Mutationen einzufügen. So können wir untersuchen, welche Rolle ein Gen oder Mutationen in der Krankheit spielen.

Andersrum können wir auch z.B. in Zellen von Patienten mit genetischen Defekten, diesen Defekt mithilfe von CRISPR/Cas9 rückgängig machen. Diese Zellen bilden dann die perfekte Kontrolle für Experimente mit Zellen von Patienten: die Zellen sind exakt die gleichen, nur bei den Patientenzellen ist das Gen mutiert und bei den Kontrollzellen nicht.

Kannst Du ein konkretes Beispiel einer Krankheit nennen?

Das Zellweger-Syndrom ist eine sehr seltene, genetisch bedingte Stoffwechselstörung bei Neugeborenen, die tödlich verläuft. Ursache für die Krankheit ist eine Inaktivierung oder Mutation in Genen mit dem Namen PEX, aus denen normalerweise funktionsfähige Proteine entstehen, die lebenswichtige Stoffwechselreaktionen in der Zelle ermöglichen. Sind diese Proteine nicht vorhanden oder funktionieren sie nicht, ist der Stoffwechsel gestört, was in dem Fall fatale Folgen hat.   

Es ist selten, dass ein Nobelpreis an zwei Frauen vergeben wird. Was bedeutet das für Dich?

Das ist eine richtig gute Nachricht. Die Statistiken der Nobelpreise reflektieren momentan sicher nicht, was Frauen in der Forschung leisten. Chemie und vor allem Physik sind Forschungsbereiche, in denen Frauen unterrepräsentiert sind.

Emmanuelle Charpentier hat bei der Pressekonferenz hervorgehoben, wie wichtig es war, in einem Umfeld zu arbeiten in dem Qualität in der Forschung und junge Wissenschaftler gewertschätzt wurden. Das finde ich richtig gut!

Im grossen Ganzen gibt es zurzeit überall in der Forschung eine positive Entwicklung, was Gender Balance betrifft - oder wenigstens einen Ansatz davon: wir versuchen das Ganze besser ins Gleichgewicht zu bringen und die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Wissenschaftlerinnen genau so arbeiten können wie ihre männlichen Kollegen.

Die Arbeit der Wissenschaftlerinnen ist nicht immer sehr sichtbar; das liegt vielleicht zum Teil daran, dass ihre erste Priorität nicht immer ihre eigene Visibilität ist. In der Regel liegt dies bei Männern in der Liste der Prioritäten oft weiter oben. Ich sehe das auch in unserem Forschungzentrum bei drei weiblichen und 13 männlichen Gruppenleitern. Die Beiträge beider Gruppen sind ähnlich in punkto Wichtigkeit und Impakt, aber die Art und Weise sie vorzustellen ist unterschiedlich.

Carole Linster arbeitet neben dem Zellweger-Syndrom auch noch an anderen seltenen Krankheiten wie z.B. Batten Disease und Kufor Rakeb Syndrom. Es geht dabei meistens darum, die Funktionen von Proteinen zu untersuchen – Enzyme, die eine Rolle in biochemischen Prozessen im Stoffwechsel spielen.  

Carole Linster Portrait

Modelle der Parkinson-Krankheit schaffen

Eine weitere Wissenschaftlerin am LCSB, die die CRISPR/Cas9 Genschere in ihrer Forschung benutzt, ist Sylvia Bolognin.  Sie ist Teil der Arbeitsgruppe von Jens Schwamborn, die sich mit Entwicklungs- und Zellbiologie besonders im Kontext der Parkinson-Krankheit beschäftigt.

Silvia, zu welchem Zweck setzt Du CRISPR / Cas9 ein?

In unserem Team verwenden wir sie bei Modellen der Parkinson-Krankheit. Sie ist äußerst nützlich, da wir damit die Anomalien in Zellen identifizieren können, die auf bestimmte Mutationen in Zellen von Parkinson-Patienten zurückzuführen sind.

Zum Beispiel können wir Zellen einer gesunden Person nehmen und mithilfe von CRISPR/Cas9 Mutationen in ein bestimmtes Gen einführen, von denen wir wissen, dass sie Parkinson verursachen. Und dann identifizieren, was die Mutation bei den Zellen hervorruft. Spiegelt die Mutation komplett die Anomalie wieder, die bei der Krankheit beobachtet wurde?

Oder umgekehrt: Was passiert in einer erkrankten Zelle, die einem Parkinson-Patienten entnommen wurde und eine bestimmte Mutation beherbergt, wenn wir diese Mutation korrigieren? Ist diese Mutation allein verantwortlich für die Abnormalität der Zelle? Auf diese Weise können wir die Rollen der veränderten Proteine ​​und der Genetik eines Patienten trennen und mögliche Ursachen für die Parkinson-Krankheit identifizieren.

Könnte die CRISPR / Cas9-Technologie dann auch zur Behandlung von Patienten eingesetzt werden?

Das ist derzeit schwer zu sagen. Viele Unternehmen arbeiten daran, aber wir müssen noch prüfen, ob die Verwendung völlig sicher ist. In unserem Team konzentrieren wir uns derzeit darauf, Crispr/Cas9 als Werkzeug zu verwenden, um festzustellen, was in erkrankten Zellen nicht stimmt. Die Mehrheit der Parkinson-Patienten weist bisher keine spezifischen Mutationen auf, die direkte Ursache der Krankheit sind. Wir können also hier keine direkte Anwendung voraussehen.

Denkst Du, dass mehr Frauen Nobelpreise bekommen sollten?

Der Nobelpreis ist und muss unvoreingenommen bleiben. Wir sollten Frauen in der Wissenschaft unterstützen, weil die kritische Masse in führenden Positionen einfach nicht da ist. Viele Frauen promovieren und machen Post-docs, aber nur sehr wenige werden Gruppenleiter. Wir müssen eventuelle Probleme identifizieren und Mittel schaffen, die junge Frauen auf diesem Karriereweg unterstützen. Die geschlechtsspezifische Kluft in Führungspositionen gilt nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für andere Bereiche. Was darauf hindeutet, dass dies ein kultureller und logistischer Aspekt ist, der angegangen werden müsste.

Silvia Bolognin kam 2014 nach ihrer Doktorarbeit in Italien und einer Erfahrung in den USA, wo sie Alzheimer untersuchte, an die Universität Luxemburg. Sie versucht nun zu verstehen, wie die Parkinson-Krankheit entsteht und wie wir sie stoppen können, indem sie Modelle verwendet, die direkt auf Zellen von Patienten basieren. In Zukunft möchte sie die akademische Laufbahn fortsetzen und die Grundlagen der Neurodegeneration weiter untersuchen.

Silvia Bolognin Portrait

Rolle des CRISPR-Systems in Mikrobengemeinschaften

Die CRISPR/Cas9 Genschere ist ein System, das ursprünglich aus Bakterien stammt. Sie ist dort Teil der Immunantwort und zerschneidet die DNA von Viren, die Bakterien befallen (sogenannten Bacteriophagen) – dadurch wird das Virus auβer Gefecht gesetzt.

Im Rahmen ihrer Doktorarbeit analysierte Susana Martinez vom Systems Ecology Group am LCSB diesen Abwehrmechanismus innerhalb der mikrobiellen Gemeinschaft (das sogenannte Mikrobiom) des Belebtschlammverfahrens einer Kläranlage in Luxemburg.

Susana, was war das Ziel dieser Arbeit?

Neben Umweltfaktoren können biologische Faktoren wie Viren, die Bakterien infizieren, eine wichtige Rolle bei der Gestaltung mikrobieller Gemeinschaften spielen. Es ist jedoch nicht genau bekannt, wie das CRISPR-Abwehrsystem von Bakterien mit diesen biologischen Faktoren in mikrobiellen Gemeinschaften interagiert. Ziel unseres Projekts war es zu verstehen, welche biologischen Faktoren die Dynamik der mikrobiellen Gemeinschaft während des Abwasserbehandlungsprozesses beeinflussen können.

Warum ist es wichtig, mikrobielle Gemeinschaften im Abwasser zu verstehen?

Abwasser, insbesondere Schaumschlamm der während des Behandlungsprozesses erzeugt wird, ist auf mikrobiologische Organismen angewiesen, um organisches Material aus dem Wasser zu entfernen bevor es an die Umwelt abgegeben wird. Dies ist sowohl aus Forschungssicht interessant als auch wegen seines Potenzials, Biodiesel zu produzieren und dadurch Energie zurückzugewinnen. Es ist wichtig zu verstehen, wie sich die Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaften in diesem Schlamm auswirkt, um beispielsweise das Wachstum unerwünschter Arten zu verhindern.

Und was habt Ihr herausgefunden?

Wir haben das CRISPR/Cas-System verwendet, um die Elemente, die in Bakterienzellen eindringen können, mit den verschiedenen Arten von Bakterien im Abwasser zu verknüpfen. Wir haben beobachtet, dass neben Bakteriophagen - also Viren, die Bakterien infizieren - eine andere Art von „Eindringling“ vom CRISPR/Cas-System stark angegriffen wird. Diese sogenannten Plasmide sind zirkuläre DNA-Moleküle, die häufig in Bakterien vorkommen und bekanntermaßen Gene zwischen Wirten übertragen. Auf diese Weise tragen sie beispielsweise auch zur Verbreitung von Antibiotikaresistenzen bei.

Bevor Susana nach Luxemburg kam, war sie Biologin in Spanien und sammelte Erfahrung im Labor. Sie hat sich für Bioinformatik interessiert und ihre Leidenschaft gefunden, nachdem sie nach Luxemburg gezogen und sich der Gruppe von Paul Wilmes am LCSB angeschlossen hat. Sie plant ihre Forschung auf dem stetig wachsenden Gebiet der Metagenomik nach Abschluss ihrer formalen Ausbildung fortzusetzen.

Susana Martinez Portrait

Und zum Schluss eine kleine Anekdote zu Jennifer A. Doudna, eine der Nobelpreisträgerinnen

Paul Wilmes, Susanas Doktorvater und Leiter der Systems Ecology Forschungsgruppe am LCSB war selber Post-doc in Berkeley, als Jennifer Doudna ihre Arbeit an CRISPR/Cas begann. Er erinnert sich: „Es war meine frühere Chefin Jill Banfield, die Jennifer Doudna beim gemeinsamen Kaffee trinken im Free Speech Movement Café auf dem Campus in Berkeley mit CRISPR/Cas bekannt machte. Es handelte sich um eine Position im Genom, bei der wir festgestellt hatten, dass die frühen metagenomischen Daten von mikrobiellen Gemeinschaften in Biofilmen zur Entwässerung von Säureminen sehr unterschiedlich sind. Ich habe darüber meinen Post-doc mit Jill gemacht. Die Geschichte wird in dem kürzlich erschienenen Film Human Nature erzählt, einer provokativen Untersuchung der weitreichenden Auswirkungen von CRISPR, und heute auch nochmal von Jill auf der Internetseite der UC Berkeley hervorgehoben. Jill und Jennifer sind heute noch gute Freundinnen.

Wir organisierten damals jährliche CRISPR-Treffen in Berkeley, bei denen die frühe Forschergemeinschaft zusammenkam. Ich denke, CRISPR/Cas ist ein gutes Beispiel dafür, dass man nicht weiß, woher der nächste große Sprung kommt. In diesem Fall Mikroben in spanischen Salinen und schädliche Biofilme, die in einer stillgelegten Mine in Nordkalifornien leben.“

Paul Wilmes kehrte 2010 mit Hilfe eines FNR ATTRACT-Fellowships in sein Heimatland zurück und ist nun Full Professor an der Universität Luxemburg. Wir werden demnächst mehr über die spannende CRISPR/Cas Forschung aus seinem Labor auf science.lu berichten!

Interview: Michèle Weber (FNR)
Fotos: Universität Luxemburg/Michel Brumat (ausser Silvia Bolognin - Silvia Bolognin)

Link zur Seite der Nobel Prize Assembly

Mehr zu CRISPR/Cas, wie es funktioniert, was mögliche Anwendungen und Bedenken sind, in folgendem Artikel aus unserem Archiv:

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