SKIN/FNR

„Ziel mir keng!“ kommt nach dem „Wëssensmagazin Pisa“, das am Sonntagabend auf RTL Tëlee ausgestrahlt wird. Sie können die Folgen auch auf RTL Play und auf dem YouTube-Kanal science.lu ansehen.

Von der Entdeckung der Antibiotika bis zu resistenten „Superbugs“

Die Entdeckung von Antibiotika – unter anderem durch Alexander Fleming im Jahr 1928 – war ein wichtiger Schritt in der Medizin. Diese Medikamente retten enorm viele Leben. Sie werden seit Jahren eingesetzt, um bakteriell verursachte Infektionen zu bekämpfen, beispielsweise Infektionen mit Streptokokken-Bakterien bei einer Angina oder mit E.-coli-Bakterien bei einer Blasenentzündung. Sie werden aber auch präventiv, z. B bei Operationen oder Chemotherapien eingesetzt, weil hier das Risiko einer bakteriellen Infektion größer ist und dies zu Komplikationen führen könnte. Darüber hinaus kommen sie auch in der Veterinärmedizin zum Einsatz.

In den letzten 30 Jahren haben sich jedoch immer mehr Bakterien verbreitet, die gegen bestimmte Arten von Antibiotika resistent sind, d. h. Bakterien, gegen die diese Antibiotika nicht mehr wirksam sind. Manche sind sogar gegen nahezu alle verfügbaren Antibiotika resistent – sie werden oft „Superbugs” genannt.

Das bedeutet, dass verschiedene bakterielle Infektionen nicht mehr so gut oder sogar überhaupt nicht mehr behandelt werden können.

2019 starben weltweit rund 1,3 Millionen Menschen an Infektionen mit Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind – das sind doppelt so viele, wie an Malaria oder HIV gestorben sind. Und eine aktuelle Studie schätzt, dass diese Zahl bis 2050 auf 1,9 Millionen pro Jahr steigen könnte.

Und es gibt noch pessimistischere Szenarien.

Für die WHO zählen Antibiotikaresistenzen auf jeden Fall zu den Top-10-Gefahren für die Weltgesundheit und auch für die EU gelten sie als eine der 3 akutesten Bedrohungen.

Wieso aber entstehen überhaupt Resistenzen? Wie ist die Situation in Luxemburg? Und wo stehen wir in puncto neue Behandlungen?

Das haben wir uns in dieser neuen Folge von „Ziel mir keng!“ näher angeschaut.

Bei diesem Video wurden wir u. a. von Jacques Zimmer, Forscher am Luxembourg Institute of Health, sowie Mitgliedern der Arbeitsgruppe "Surveillance" des Plan National Antibiotiques (PNA) der Gesundheitsbehörde beraten.

Jacques Zimmer hat zwei Doktortitel (MD und PhD) sowie die Habilitation zur Leitung von Forschungsarbeiten. Er arbeitet seit 2003 als Forscher am LIH, seit 2014 in der Abteilung für Infektion und Immunität. Sein Forschungsgebiet ist die Immunologie, die Abwehr des Körpers gegen infektiöse Bedrohungen und Krebs. Er konzentriert sich (zusammen mit Carole Seguin-Devaux) auf neue antibakterielle Verbindungen, die Alternativen zu Antibiotika sein könnten. Das Forschungsteam entwickelt außerdem auf der Grundlage der gleichen Strukturen dieser Moleküle neue Krebsmedikamente gegen das Adenokarzinom der Bauchspeicheldrüse.

Der Plan National Antibiotiques (PNA) 2018 - 2022 (aufgrund der Covid-19-Krise bis 2024 verlängert) wurde als Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen des Gesundheitsministeriums und des Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und ländliche Entwicklung entwickelt. Sein allgemeines Ziel ist es, „das Auftreten, die Entwicklung und die Übertragung von Antibiotikaresistenzen in Luxemburg mit einem One-Health-Ansatz zu verringern.“ Im Rahmen der Vision „One Health zielt der nationale Plan darauf ab, die verschiedenen Dimensionen des Themas - Human- und Veterinärmedizin sowie Umwelt - zu berücksichtigen und alle Interessengruppen einzubeziehen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass jeder auf seine Weise dazu beiträgt, eine Lösung für diese Problematik zu finden, indem er das Prinzip des vernünftigen Einsatzes von Antibiotika anwendet", steht auf der Seite von sante.lu. Es wurden mehrere strategische Schwerpunkte entwickelt, um dem allgemeinen Ziel des Plans gerecht zu werden, wie z. B. Governance, Prävention, Bildung, Kommunikation, Behandlung und Diagnose sowie Überwachung und Forschung. Die Ausarbeitung des PNA wurde „von einem multidisziplinären und sektorübergreifenden Lenkungsausschuss unter der Aufsicht der Ministerien für Gesundheit und für Landwirtschaft, Weinbau und Verbraucherschutz und mit dem Beitrag des Umweltministeriums koordiniert. Vom Lenkungsausschuss wurden Arbeitsgruppen gebildet, um die vorrangigen Maßnahmen und Aktivitäten festzulegen, die im Rahmen des Plans umgesetzt werden sollen.“ Weitere Informationen auf sante.lu.

 

Einen ausführlicheren Text zum Thema findest Du auch auf science.lu.

Wie entstehen Antibiotikaresistenzen bei Bakterien?

Bakterien sind winzige Mikroben, die uns bei Vielem helfen, z. B. bei der Verdauung von Essen. Einige können uns jedoch krank machen, ähnlich wie Viren. Aber, ganz wichtig: Bakterien sind keine Viren! Und deshalb helfen Antibiotika nicht bei viralen Infektionen – und das sind z. B. die meisten Erkältungen.

Genau wie Viren entwickeln sich Bakterien aber durch Mutationen in ihren Genen immer weiter, um zu überleben. Manchmal entstehen auch Mutationen, durch die sie Antibiotika überleben. Und so entstehen neue, resistente Bakterienstämme, die sich ganz allmählich ausbreiten. Dies ist ein natürlicher Prozess, den wir nicht verhindern können: Evolution.

Wir wissen aber, was diese Prozesse beschleunigt, nämlich ein falscher oder übermäßiger Einsatz von Antibiotika.

Wie gesagt: Antibiotika retten viele Leben. Leider wird auch ein Teil unnötigerweise verordnet.

Zum Beispiel, wenn sie bei einer Grippe oder einer durch Viren verursachten Erkältung verordnet werden.

Oder wenn Antibiotika aus wirtschaftlichen Gründen bei Nutztieren eingesetzt werden. Dies erlaubt z. B., die Tiere auf engerem Raum und die Fleischpreise niedrig zu halten.

In der EU darf seit 2006 übrigens kein Antibiotikum mehr ins Futter gemischt werden, nur um das Wachstum der Tiere zu fördern. Es wird aber ausnahmsweise noch gemacht, um die Ausbreitung diagnostizierter Krankheiten in einer Tierpopulation einzudämmen.

Wie ist die Situation in Luxemburg?

Antibiotikaverbrauch in Luxemburg

Die gute Nachricht:  Der Verbrauch von Antibiotika ist in Luxemburg in den vergangenen zehn Jahren gesunken, im Gesundheitsbereich insgesamt um ca. ein Viertel.

Da liegen wir jetzt ungefähr im EU-Durchschnitt. 

In der Tierhaltung benutzen wir heute ca. halb so viele Antibiotika wie vor zehn Jahren.

Hier zählt Luxemburg jetzt in der EU zu den Ländern, die am wenigsten Antibiotika benutzen – fast 3 Mal weniger als Deutschland und Belgien.

Und wie sieht es mit den Resistenzen aus?

Entwicklung von Resistenzen in Luxemburg

Was die Resistenzen anbelangt, gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich die Situation in Luxemburg in den letzten Jahren stabilisiert hat. Allerdings verfügen wir derzeit nur über begrenzte Daten. Man kann demnach hier noch keine pauschale Schlussfolgerung ziehen.

Im Gesundheitsbereich wurden z. B. zwischen 2018 und 2022 Resistenzen bei zehn Paaren von Bakterien und Antibiotika untersucht, und zwar anhand von Stichproben aus Krankenhäusern, bei denen die Patienten von Blutinfektionen oder Infektionen des zentralen Nervensystems betroffen waren.

Bei den meisten der zehn untersuchten Bakterien-Antibiotika-Paaren ist der Anteil an resistenten Bakterien in den letzten Jahren stabil geblieben oder war leicht rückläufig – abgesehen von einigen Ausnahmen. Bei einigen ist er auch gestiegen. Und man muss auch sagen, dass in verschiedenen Fällen der Anteil an resistenten Bakterien – selbst bei sinkenden Zahlen – weiterhin hoch ist. So sind z. B. 50 % der E.-coli-Bakterienstämme gegen das gängige Antibiotikum Aminopenicillin resistent. Diese Resistenzen machen es schwieriger, häufig vorkommende Infektionen zu behandeln.

Auch in der Veterinärmedizin verfolgt man die Evolution von Resistenzen. Hier ist der Anteil an resistenten Bakterien in vielen untersuchten Fällen zwar auch weiterhin hoch, blieb aber in den letzten Jahren stabil. 

In Luxemburg geht der Trend demnach in die richtige Richtung, dennoch ist der Anteil an resistenten Bakterien in vielen Fällen noch sehr hoch.

Wie ist die Situation im Rest der Welt?

Natürlich ist die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen ein globales Phänomen. Und es gibt von Land zu Land große Unterschiede in Bezug auf den Verbrauch von Antibiotika und die Entwicklung von Resistenzen. 

Entwicklung von Resistenzen in Europa und in der Welt

Europa scheint aber auch auf dem guten Weg zu sein: Bei 50 % der untersuchten Bakterien-Antibiotika-Paare ist der Anteil an resistenten Bakterien seit 20 Jahren stabil oder im Begriff, sich zu stabilisieren.  Bei 17 % steigt der Anteil an resistenten Bakterien weiter an, bei 17 % fällt er.

Dies haben Forscher in einer Überblicksstudie herausgefunden, die allerdings noch nicht peer-reviewed ist.

Auf globaler Ebene warnt die WHO aber vor „alarmierenden“ Resistenzwerten.

Verbrauch von Antibiotika weltweit

In Nordafrika, dem Mittleren Osten und in Südasien werden heute doppelt so viele Antibiotika verbraucht wie vor 20 Jahren. Das ist natürlich einerseits gut für die Gesundheit der Bevölkerung, es entwickeln sich aber leider auch neue Resistenzen, die sich in unserer globalisierten Welt überall verbreiten können.

Global gesehen haben wir die Situation demnach noch lange nicht im Griff.

Auch wenn umfangreiche Bemühungen unternommen werden, um den Verbrauch von Antibiotika zu senken, werden resistente Bakterien nie einfach verschwinden. Und damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt: Wir brauchen unbedingt neue Antibiotika und/oder Alternativen.

Wo stehen wir in puncto neue Behandlungen?

In den vergangenen 50 Jahren kamen wenige neue Antibiotika auf den Markt. Einerseits, weil es schwierig ist, noch neue zu finden, andererseits aber auch, weil es kein lukratives Geschäft ist.

Die Entwicklung eines Antibiotikums dauert im Durchschnitt 12 Jahre und kostet 1,5 Milliarden Dollar.

Beim Patienten wird ein Antibiotikum allerdings häufig nur 1 Woche eingesetzt – aus kommerzieller Sicht nicht lang. Und jedes neue Antibiotikum wird zunächst einmal auf eine Reserveliste gesetzt und nur dann verordnet, wenn kein anderes Antibiotikum mehr wirkt. Es wird also kaum verkauft.

Und dann tauchen auch relativ schnell Resistenzen gegen neue Antibiotika auf, manchmal bereits bevor das Medikament überhaupt auf den Markt kommt.

Trotzdem muss die Suche nach neuen Antibiotika oder alternativen Behandlungen weitergehen.

In Luxemburg arbeiten Forscher wie Jacques Zimmer ebenfalls an Alternativen zu Antibiotika, wie z. B. Immuntherapien, bei denen unsere eigenen Immunzellen stimuliert werden, um Bakterien gezielt zu eliminieren.

Schlussfazit

Wir stehen nicht gerade vor einem Weltuntergang durch „Superbugs”, dennoch ist die Lage ernst.

Die Entwicklung von Resistenzen bei Bakterien können wir nicht verhindern. Wir können sie aber bremsen. Indem wir Antibiotika nur dann einsetzen, wenn es nicht anders geht.

Dazu können wir alle beitragen.

Und wenn weiter an neuen Antibiotika und an Alternativen geforscht wird, werden wir im Kampf gegen Bakterien hoffentlich immer ein bisschen die Nase vorn haben.

Autorin: Michèle Weber (FNR)
Redaktion: Lucie Zeches (FNR)
Beratung : Jacques Zimmer (LIH), Plan National Antibiotiques (Direction de la Santé)
Hintergrundrecherchen und Infografiken: Daniel Saraga (saraga communications)
Video und grafische Umsetzung der Infografiken: SKIN
Übersetzung: Nadia Taouil (t9n.lu)

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