© Rasmus Himmelstrup

Er kam mit einer Achromatopsie auf die Welt. Das heißt, Neil Harbisson sieht die Welt nur in schwarz-weiß-grauen Tönen. 2004 unterzog sich der Brite einer Operation: Er ließ sich am Hinterkopf einen Chip mit einer Antenne implantieren. Dadurch kann Neil Harbisson die Farben zwar immer noch nicht sehen, aber hören. Die Antenne erfasst die Farben seiner Umgebung, die dann als Vibrationen an den Schädelknochen übertragen werden und dabei Töne erzeugen. Der Brite gilt als der erste offiziell von einer Regierung anerkannte Cyborg, hat diesen Status sogar in seinem Personalweis bestätigt. Und er ist auch mit dabei beim Auftakt des Esch2022-Projekts „The Sound of Data“ am 1. Mai in der Rockhal. Science.lu hat im Vorfeld des Events mit ihm gesprochen.

 

Neil, Dir wurde durch einen operativen Eingriff eine Antenne samt Chip implantiert und Du bezeichnest Dich selbst seitdem als Cyborg, also ein Mischwesen aus biologischem Organismus und Technik. Hast Du dich auch direkt nach der Operation als Cyborg gefühlt oder war es ein eher schleichender Prozess?

 Der Übergang zum Cyborg war für mich in der Tat ein eher längerer Prozess, der nicht direkt mit der Operation verbunden war. Als ich merkte, dass die Technologie Teil meiner Identität wird, meinen Verstand und mein Denken beeinflusst, fing ich auch damit an, mich als Cyborg zu fühlen. Anfangs habe ich mich auch als „Eyeborg“ bezeichnet, weil ich das Bauteil zunächst als ein zusätzliches Auge gesehen habe. Tatsächlich aber ist es ja kein Auge, sondern eine Antenne.

Du bist Musiker, hast auch Klavier studiert. Ist das für Deine Cyborg-Technik, bei der ja Farben in Töne umgewandelt werden, ein Vorteil?

Ich denke, dass es generell eigentlich eher von Nachteil ist, wenn man musikalisch ausgebildet ist. Weil man eben darauf trainiert ist, den Sound in zwölf Noten zu hören. Das macht es schwieriger, Mirkrotöne zu akzeptieren, also Töne zwischen den herkömmlichen Tonstufen. Und Farben sind voll von diesen Mikrotönen. Von daher denke ich, dass es für Menschen ohne musikalischen Background zunächst einfacher ist, mit den Mikrotönen zurechtzukommen.

Wie funktioniert Dein Sensor? Wie nah musst Du an ein Objekt herankommen, um es zu hören? Und ist die Antenne immer aktiviert oder lässt sie sich auch entfernen und wieder aufstecken?

Die Kamera erfasst permanent die dominierenden Farben vor mir. Ich muss also nicht unbedingt ganz nah an ein Objekt ran, um die Farben zu erkennen. Ich habe einen Chip im Schädelknochen implantiert, der über ein Glasfaserkabel mit der Kamera verbunden ist. Die Technik ist also fester Bestandteil meines Skeletts.

Würden die Farben bei jedem gleich klingen beziehungsweise entspricht das Farbspektrum, wie wir es kennen, auch der Tonleiter?

Das Spektrum der Farben, das ich erfassen kann, reicht von Infrarot bis Ultraviolett. Und nach diesem Lichtspektrum richtet sich auch der Ton. Rot ist zum Beispiel F, Blau ist Cis und Magenta ist Dis. Bislang bin ich der einzige mit einer solchen Antenne. Der Sound beziehungsweise die Vibration im Knochen, die durch die jeweilige Farbe ausgelöst wird, hat sich aber seit Anfang an nicht verändert.

Kannst Du deine Fähigkeiten auch durch Updates erweitern?

Ja, nach der Implantation meiner Antenne in 2004 hatte ich 2008 eine Erweiterung dahingehend, dass mein Farbspektrum auf 360 Farben erweitert wurde. Später folgte auch noch ein Upgrade zur Wahrnehmung der Infrarot- und Ultraviolettstrahlung. Und inzwischen verfüge ich auch über eine Internetverbindung, sodass ich Farben von allen Ecken der Erde erfassen kann.  Während die normalen menschlichen Organe altern, wird die Technik immer besser. Je älter ich als Cyborg also werde, desto besser kann ich die Realität wahrnehmen. Da ich meinen Sensor ja immer upgraden kann.

Du hörst auch Farben, die das menschliche Auge nicht wahrnimmt, wie Infrarot und Ultraviolett. Hat das irgendwelche praktischen Vorteile?

Nun, es verbindet mich mit anderen Tieren, die ebenfalls diese Farben wahrnehmen können. Und es verbindet mich damit auch stärker mit der Natur. Dadurch, dass ich ultraviolettes Licht erkennen kann, höre ich zum Beispiel auch, wie die Sonnenstrahlung ist. Ob es also ein guter oder ein eher schlechter Tag zum Sonnenbaden ist

Ist die Antenne Dein einziges künstliches Organ?

Nein, ich habe ein weiteres Implantat in meinem Knie, eine Art Kompass. Ich kann also immer spüren, wo der geografische Norden ist. Außerdem habe ich auch ein Organ zum Erkennen des Zeitverlaufs entwickelt. Es handelt sich dabei um ein sensorisches Stirnband, mit dem der Träger den Lauf der 24-Stunden-Uhr am Kopfumfang spüren kann. Und ich habe auch schon Projekte mit Zähnen gemacht. Ich habe zum Beispiel einen Zahn implantiert, der es mir ermöglicht, mit anderen Personen, die ebenfalls über einen solchen Zahn verfügen, über einen Morse-Code zu kommunizieren.

Du bist ja nicht nur Cyborg, sondern auch Künstler. Inwieweit wird Deine Kunst durch deine Cyborg-Fähigkeiten beeinflusst?

Die Entwicklung dieser Organe ist die eigentliche Kunst – wir nennen es Cyborg-Art. Es geht darum, die Fähigkeiten unserer Wahrnehmung zu erweitern. Darüber hinaus können diese entwickelten Sinne dann natürlich auch noch zusätzlich dazu genutzt werden, sich künstlerisch auszudrücken. In meinem Fall kann ich mit Hilfe des Sensors Musik aus Farben erzeugen – oder aber aus Gesichtern. Ich kann also auch Konzerte aus Gesichtern kreieren. Umgekehrt kann ich auch Malen, was ich höre. Weil es ja zu jeder Farbe auch einen Ton gibt.  

Am 1. Mai kommst Du nach Belval zu „Science meets Music“, dem Auftakt Event des Esch2022-Projekts „The Sound of Data“. Was erwartet das Publikum bei Deinem Futuristic Talk?

In diesem Talk wird es um Cyborg-Art gehen. Ich will den Leuten zeigen, welche Möglichkeiten des Ausdrucks sich durch diese zusätzlichen Organe und Sinne ergeben. Weil dadurch ja auch neue Formen der Kultur und der Kunst entstehen. Das Hören von Farben kann zudem auch andere Bereiche beeinflussen, wie zum Beispiel die Mode. Das gilt für meine Antenne, aber auch für viele andere künstlich erzeugten Organe.

Worum geht es bei der Veranstaltung Science meets Music?

Im Foyer der Rockhal findet von 14 Uhr bis 18 Uhr eine „Science Fair“ statt, ähnlich wie beispielsweise das Science Festival. In interaktiven Workshops, die Musik und Wissenschaft verbinden, können Familien, Kinder und Erwachsene experimentieren, erleben und einfach Spaß haben. 

Im „Club“ der Rockhal findet ein Parallelprogramm statt, das sich eher an Erwachsene richtet. Dazu gehört neben einem Networking Event:

  • Ein visionärer Vortrag von Neil Harbisson, dem ersten anerkannten Cyborg, der Farben hören kann mit Hilfe eines Sensors in seinem Kopf.
  • Eine Performance von Neil Harbisson und Pol Lombarte, bei der die Herzschläge des Publikums auf der Bühne sonifiziert werden
  • Ein Performance-Vortrag des Musikers und Wissenschaftlers Valery Vermeulen, der erklärt wie er aus Daten Musik generiert
  • Eine Podiumsdiskussion zum Thema der Veranstaltung

Darüber hinaus ist bei dem Event in der Rockhal ja auch ein Auftritt mit Paul Lombarte geplant….

Ja, Pol ist auch ein Cyborg. Er erzeugt Kunst mit Hilfe seines Herzschlags. Pol hat Elektroden implantiert, mit denen er seinen Herzschlag live ins Internet übertragen kann. Sein Kunstprojekt besteht also darin, dass er seinen Herzschlag verkauft. Wir werden bei dem Event in der Rockhal gemeinsam Musik machen, Pol mit Hilfe seines Herzschlags und ich, indem ich die Farben von den Gesichtern der Zuschauer verwende.

Bei dem Projekt The Sound of Data geht es ja um die Sonifikation von Daten, also darum, Daten in Klänge umzuwandeln. Was denkst Du über die Einsatzmöglichkeiten der Sonifikation?

Alles um uns herum erzeugt eine Vibration, insofern eignet sich auch alles für eine Sonifikation. Wir können überall Musik entdecken und hören. Ich mache es mit Farben, Pol mit Hilfe seines Herzschlags und wieder andere nutzen dafür andere Möglichkeiten. Musik muss also nicht zwingend komponiert werden, weil wir ja bereits überall von ihr umgeben sind.

 

Sonifikation ist im Grunde eine Visualisierung für die Ohren. Man nimmt einen Datensatz, eine Art von Information, und erzeugt daraus Klänge. Genau das ist auch, was Neil Harbisson mit Hilfe seiner Antenne macht. Der Cyborg hat einen Farbsensor in seinem Schädel implantiert, der durch eine spezielle Software Lichtwellen und Farben wahrnimmt und sie in Töne umwandelt. Die Sonifikation findet im Fall von Neil Harbisson also im Kopf statt.

Interview: Uwe Hentschel

 

Weiteres über Cyborg Neil Harbisson findest Du hier.

Alle Infos zu den Sound of Data findest Du hier.

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