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Die Mitarbeiter mit individueller Bezahlung zu ködern, steigert nicht unbedingt deren Produktivität.

Es gibt sie in jedem größeren Betrieb: Mitarbeiter, die mehr leisten, und eben auch solche, deren Motivation nicht so stark ausgeprägt ist. Von daher ist eigentlich nur gerecht, die Mitarbeiter entsprechend ihrer Leistung zu entlohnen. Wer besser und mehr arbeitet, sollte auch besser bezahlt werden. Und wer weniger leistet, verdient entsprechend weniger. So weit so gut. Nur gibt es in dieser Gleichung eine Schwachstelle. Und das ist die Diskrepanz zwischen dem, was der Chef oder Vorgesetzte als Leistung wahrnimmt, und dem, was der Mitarbeiter tut, um genau diesen Eindruck von Leistung zu erwecken.

Effektives Arbeiten unter Laborbedingungen

Ist eine individuell erfolgsabhängige Vergütung also wirklich effektiv? Ludivine Martin, Wissenschaftlerin am Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (LISER) hat sich gemeinsam mit Forschungskollegen aus Frankreich und den USA dieser Frage angenommen und das auf Grundlage einer Studie unter Laborbedingungen untersucht. Die Teilnehmer dieser Studie hatten dabei die Möglichkeit, durch das Lösen mehrgliedriger Rechenaufgaben am Computer Geld zu verdienen. Dafür aber musste bei jeder Aufgabe das Endergebnis stimmen. War das nicht der Fall, wurde ein festgelegter Betrag abgezogen.

Entscheidend für die Höhe des Geldbetrags, der am Ende ausbezahlt wurde, war also die Anzahl und das Verhältnis von richtigen und falschen Antworten. Wobei die Teilnehmer noch eine weitere Möglichkeit hatten, Geld zu verdienen. In regelmäßigen Abständen wanderte ein kleines Feld über ihren Computerbildschirm, das nichts mit dem Lösen der Rechenaufgaben zu tun hatte. Wurde auf dieses Feld geklickt, bekamen die Teilnehmer ebenfalls automatisch einen Betrag gutgeschrieben. Dieses Feld erschien auch, wenn die Teilnehmer gerade nicht mit den Aufgaben beschäftigt waren, sondern den Computer (erlaubterweise) nutzten, um im Internet zu surfen oder Emails zu checken. Es war also auch möglich, Geld zu verdienen beziehungsweise Punkte zu sammeln, ohne dafür eine Leistung zu erbringen.

Mitarbeiter manipulieren, um vor dem Chef besser dazustehen 

Unterm Strich wurde somit im Labor ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem es möglich war, ein bestimmtes Ergebnis auch ohne Anstrengung zu erreichen. Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, das Ergebnis zu manipulieren, um sich besser zu verkaufen als sie eigentlich sind. Und die Studie hat gezeigt, dass die Bereitschaft zur Manipulation dann höher ist, wenn die Bezahlung vom individuellen Ergebnis abhängt. Werden die Arbeitnehmer hingegen einheitlich für ihre Gesamtleistung belohnt, macht der einzelne weniger von der Möglichkeit Gebrauch, sich gegenüber dem Chef besser zu verkaufen als er eigentlich ist.

In der Forschung wird dieses Phänomen der Manipulation als „Window Dressing“ (wörtlich übersetzt: Fensterdekoration) bezeichnet. Gemeint ist damit in diesem Fall die Verschönerung der eigenen Bilanz. „Es handelt sich um Maßnahmen, die Mitarbeiter anwenden, um die Wahrnehmung und Entscheidung der Vorgesetzten zu manipulieren“, erklärt Ludivine Martin. „Das können zum Beispiel gefälschte Dokumente sein, die an den Vorgesetzten weitergeleitet werden, oder aber relevante Informationen zur eigenen Leistung oder der von Kollegen, die bewusst zurückgehalten werden“, fügt sie hinzu.

Erkenntnisse haben Gültigkeit für alle Arbeitsbereiche

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die organisatorische Leistung auch bei Kontrolle durch die Vorgesetzten geringer ist, sobald die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, Window-Dressing-Aktivitäten anzuwenden. Die Ergebniskosmetik bleibt dabei jedoch nach Möglichkeit so gering, dass es nicht auffällt. Bei gleicher Bezahlung jedoch ist der Anreiz für solche Manipulationen automatisch geringer. Das Gesamtergebnis des Einzelnen und das des Unternehmens werden also verbessert. 

Ihre Gültigkeit hätten diese Erkenntnisse im Grunde für das Management aller Branchen und deshalb auch für den in Luxemburg stark ausgeprägten Finanzsektor, erklärt die LISER-Forscherin. Um daraus letztlich aber passende Managementstrategien für Unternehmen zu entwickeln, seien noch weitere empirische Untersuchungen notwendig, erklären die Leiter der Studie. So könne beispielsweise untersucht werden, welchen Zusammenhang es zwischen der Unternehmensgröße und dem Manipulationsaufwand gibt, der betrieben wird, um die Wahrnehmung der Vorgesetzten zu beeinflussen. 

Was die Studie aber zeigt: Die Mitarbeiter mit Boni zu ködern, steigert nicht unbedingt deren Produktivität. Man dürfe als Unternehmer aber nicht den Fehler machen, „gleiche Bezahlung“ mit „niedriger Bezahlung“ zu verwechseln, warnen die Autoren. In erster Linie müssten Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihre Arbeit auch wertgeschätzt wird.

Autor: Uwe Hentschel

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