Das Modell eines Wohnregals aus Stahlbeton, in welches die Wohneinheiten aus Holz mit Hilfe eines Krans hineingeschoben werden können

Das Problem ist schnell umrissen: Der Bedarf an Wohnraum ist groß, die dafür zur Verfügung stehende Fläche ist knapp und die Ressourcen sind begrenzt. Das gilt zwar nicht nur, aber vor allem für Luxemburg. „Wir haben hier den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Wohnfläche in ganz Europa“, sagt Florian Hertweck, Architekturprofessor an der Universität Luxemburg. „Im Moment wird extrem viel und extrem schnell gebaut, gleichzeitig aber auch so, dass man es nicht mehr recyceln kann“, erklärt er. „Dadurch entsteht unglaublich viel Sondermüll, der zukünftige Generationen belasten wird.“ Ein weiteres Problem sei, dass bei der überwiegenden Zahl neuer Gebäude sowohl die Ästhetik als auch die Funktionalität stark zu wünschen übriglasse, so Hertweck. Dabei seien Funktionalität, Ästhetik und Ökologie durchaus vereinbar.

Gebäude so konzipieren, dass sie wiederverwertet werden können

Wie das funktionieren kann, zeigt das Projekt Eco-Construction for Substainable Development, an dem Forschende aus verschiedenen Disziplinen der Uni beteiligt wird. Gearbeitet wird dabei an unterschiedlichen Konzepten für nachhaltiges Bauen. Verfolgt wird dabei ein gesamtheitlicher Ansatz.

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Gesamtheitlicher Ansatz

Ein Team des Projekts befasst sich beispielsweise mit einem Konzept für eine demontierbare und wiederverwendbare Verbunddecke aus Stahl und Beton, ein anderes mit der Alterung von Beton und wieder ein anderes mit Energiekonzepten und technischen Installationen, die modular und flexibel sind. Darüber hinaus wird auch an einer Art Daten- und Materialbank gearbeitet, in der sämtliche Informationen über den Lebenszyklus von Gebäuden und deren Materialen gesammelt werden sollen. In Kombination mit einem Lager könnten so also Baukomponenten wiederverwendet werden, sofern sie die bauphysikalischen Voraussetzungen erfüllen.

„Wenn wir in der Zukunft rückbaubare Gebäude haben wollen, dann müssen wir schon jetzt unsere Gebäude so konzipieren, dass sie rückbaubar sind“, sagt Projektleiterin Danièle Waldmann. Und genau da setze das von EU und FNR geförderte Projekt an, bei dem es um die Baustoffe Holz, Beton und Stahl gehe. „Gebäude sollen modular und flexibel sein und die dabei eingesetzten Baustoffe zumindest recycelbar“, erklärt die Professorin für Massivbau. „Es geht also nicht nur um die Entwurfsphase, sondern um den gesamten Lebenszyklus.“

Wertvoller Boden landet auf der Deponie

Wie solche nachhaltigen Bauprojekte aussehen könnten, zeigen die Prototypen, die im Rahmen des Projekts auf Grundlage des gesamtheitlichen Ansatzes konzipiert wurden. Dazu gehört zum Beispiel ein Turm mit 25 Etagen, dessen Stockwerke in Holzbauweise um einen Stahlbetonkern angeordnet sind. Da die Stockwerke konisch und versetzt übereinander liegen, kommt der Prototyp mit vergleichsweise wenig Grundfläche aus.  „Sobald man Boden aushebt, ist er als Abfall deklariert und muss dann auf eine Deponie“, erklärt die Projektleiterin. Und genau das sei so paradox: „Da die Deponieflächen begrenzt sind, wird es also immer teurer, den Abfall, der ja nur Boden ist, loszuwerden“, sagt sie. Von dem Eingriff in die Biodiversität mal ganz abgesehen.

Dieser Turm bietet viel Wohnraum, benötigt aber vergleichsweise wenig Grundfläche

Ein anderer Prototyp, bei dem es ebenfalls darum geht, möglichst viel Wohnraum auf möglichst wenig Fläche zu schaffen, verfolgt einen anderen Ansatz. Es handelt sich dabei um eine Stahlbetonkonstruktion, die im Grunde wie ein gewaltiges Regal aussieht, in welches die Wohneinheiten aus Holz nach Belieben mit Hilfe eines Krans hineingeschoben werden könnten. Wie Hertweck erklärt, habe jedes Holzmodul eine Grundfläche von rund 28 Quadratmetern, was für einen Single auch ausreiche. Das Besondere an diesem Konzept ist vor allem die Flexibilität. „Module können miteinander verbunden und gestapelt werden und sich so der jeweiligen Lebenssituation anpassen“, sagt der Architekt. „Es geht ja nicht nur darum, auf unnötiges zu verzichten“, fügt er hinzu. So werde zwar die individuelle Wohnfläche reduziert, gleichzeitig aber auf dem Dach des „Wohnregals“ eine sehr generöse Gemeinschaftsfläche geschaffen.

Auf der Rückseite des Wohnregals befinden sich die Treppen und Zugänge

Bei Bedarf einfach mit der Wohnung umziehen

„Das Verrückte ist, dass solche Konzepte bereits in den 60er und 70er Jahren entwickelt wurden“, sagt Hertweck. „Die Metabolisten haben das in Japan gemacht, und in Berlin wurde bereits in den 80er Jahren ein Wohnregal nach einem ähnlichen Prinzip errichtet.“ Dann seien die Postmoderne und mit ihr die neoliberale Wende gekommen, die alles ökologische Experimentieren wieder verdrängt habe, erklärt er. „Wir haben also im Grunde 30 bis 40 Jahre verloren und müssen da jetzt wieder anknüpfen.“

Waldmann könnte sich gut vorstellen, die Wohnregale auch im bezahlbaren Wohnungsbau einzusetzen. „Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass der Staat den Rahmen beziehungsweise das Regal stellt und die Module dann selbst beigesteuert werden müssen“, sagt sie.  Interessant sei dieses Konzept aber längst nicht nur für den bezahlbaren Wohnungsbau, wie die  Massivbauerin erklärt. So könnten bei einer standardisierten Bauweise von Regalen, die Menschen bei Bedarf mit ihren Holzmodulen umziehen. Wenn zum Beispiel ein Jobwechsel einen Umzug erforderlich macht. Natürlich lasse sich die modulare Bauweise nicht überall umsetzen, betont sie. Und es sei auch nicht das Ziel, architektonisch besondere Gebäude durch diese Form der Bauweise zu ersetzen. „Wir wollen nicht von einem Extrem ins andere“, so die Projektleiterin. „Es geht darum, solche Konzepte anzuwenden, wo es Sinn macht.“

Massives Wohnungsproblem auf der einen Seite, leere Büroflächen auf der anderen

Einen gewissen Schub in diese Richtung könnte Covid-19 geleistet haben. „Ich denke, dass Corona Mängel aufgezeigt hat, und es ist ja auch erstaunlich, wie schnell sich die Welt geändert hat“, sagt Waldmann. Nach und nach werde sich das alles wieder relativieren, weil viele Menschen auch froh seien, wieder ins Büro gehen zu können. Gleichzeitig aber hätten viele Unternehmen auch gemerkt, dass sich durch die erzwungene Verlagerung der Arbeitsplätze viel Geld sparen lasse. „Wir haben hier in Luxemburg auf der einen Seite ein massives Wohnungsproblem und dagegen stellen in der Zukunft vielleicht leere Büroflächen“, sagt sie. Das zeige: Wenn man nachhaltig bauen will, muss man auch flexibel bauen. „Das war zwar auch schon vor Corona so“, so die Forscherin, „ist aber nun stärker ins Bewusstsein gerückt.“

Autor: Uwe Hentschel

Illustrationen: University of Luxembourg

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